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Bühne und Konzert Krzysztof Penderecki

Der Abtrünnige, den die Avantgardisten hassen

Häufig tritt er in Deutschland als Interpret eigener Werke auf: 1999 dirigierte Krzysztof Penderecki die Deutschen Kammerphilharmoniker Bremen Häufig tritt er in Deutschland als Interpret eigener Werke auf: 1999 dirigierte Krzysztof Penderecki die Deutschen Kammerphilharmoniker Bremen
Häufig tritt er in Deutschland als Interpret eigener Werke auf: 1999 dirigierte Krzysztof Penderecki die Deutschen Kammerphilharmoniker Bremen
Quelle: picture alliance/bs/rh
Unorthodoxer Querkopf: Krzysztof Penderecki ist der berühmteste lebende Klassikkomponist. Er begann als Neutöner, dann wandte er sich den Wonnen neoromantischer Schönheit zu. Nun ist er 80.

Es ist nahezu unmöglich, von Krzystof Penderecki nicht fasziniert und irritiert zu sein. Der polnische Komponist weckt wie kaum ein zweiter Bewunderung und Hohn, und das seit über fünfzig Jahren, im Osten wie im Westen, bei Laien und bei Profis, bei Freunden und Feinden der zeitgenössischen Musik. Pendereckis Namen kennt jeder, er ist zusammen mit Stockhausen die personifizierte neue Musik.

Er ist aber zugleich die personifizierte Konterrevolution, der berühmteste Abtrünnige und Provokateur. Penderecki verabschiedete sich mit seiner ‚Lukas-Passion‘ 1966 als erster Avantgardist von den Dogmen der Avantgarde, bekundete Sehnsucht nach C-dur-Akkorden und ergab sich den Wonnen neoromantischer Schönheit. Für ihn war der neue Stil eine Synthese aus Tradition und Innovation, für seine ehemaligen Mitstreiter schlichtweg Verrat.

Für Feinde ist er ein reaktionärer Schwärmer

Da Ketzer nicht mehr verbrannt werden durften, versuchten sie ihn als reaktionären Schwärmer lächerlich zu machen. Zeitweilig übernahm er diese Aufgabe selbst, etwa mit seinem Klavierkonzert ‚Resurrection‘, das den Opfern des 11. September 2001 gewidmet ist, aber für die Betroffenheit nur abgedroschene Formeln findet.

Dieses Werk löste in Polen eine Pressekampagne aus, die in dem Vorwurf gipfelte, es huldige der Ästhetik des sozialistischen Realismus. Auch der Meister ließ sich nicht lumpen, machte das polnische Musikleben nieder und drohte damit, das Land zu verlassen. Er ist dann aber geblieben. Wahrscheinlich hätte ihm der Abschied von seiner urigen Villa im Krakauer Vorort Wola Justowska das Herz gebrochen. Als dirigierender Handelsreisender in eigener Sache ist er sowieso schon viel zu oft auswärts.

Ein Dinosaurier im Porzellanladen

Penderecki nimmt nie ein Blatt vor den Mund, er ist trotz aller Titel und Ämter nie smart, nie angepasst, sondern immer eigensinnig, offenherzig, widersprüchlich bis zur Selbstbeschädigung. Er wagt zu sagen, was andere nur denken: dass ihn Schönberg genauso kalt lässt wie elektronische Musik, dass die meisten Avantgardisten nur Schreihälse und Dilettanten sind. So poltert Penderecki seit Jahrzehnten durch den Musikbetrieb, lautstark und voll ungebremster Energie – ein Dinosaurier im Prozellanladen akademischer Harmonieverweigerer.

Auch in politischer Hinsicht blieb er unberechenbar. Der nach Selbstauskunft linke Katholik brachte es 1980 fertig, auf Bestellung Lech Wałęsas ein ‚Lacrimosa‘ zu schreiben und wenige Jahre später Verständnis für das Regime des Generals Jaruzelski zu äußern.

Karajan verhalf ihm zum Durchbruch

Die einzigartige Erfolgsgeschichte des 1933 im Südosten Polens geborenen Penderecki begann 1959, als er anonym beim Wettbewerb des polnischen Komponistenverbandes gleich alle drei Preise gewann. Dann ging es Schlag auf Schlag, und schließlich gab es den Ritterschlag: Herbert von Karajan führte mit den Berliner Philharmonikern Ende der Sechzigerjahre Pendereckis ‚Polymorphia für 48 Streicher‘ und ‚De natura sonoris‘ auf. Es sind die modernsten Stücke, die Karajan je in Angriff nahm – der junge Pole war international etabliert.

Die schrägen Klangflächen und die vibrierenden Riffs seiner Musik ließen selbst eingefleischte Brahms-Liebhaber aufhorchen, das schmerzlich schrille ‚Threnos für Hiroshima‘ erlangte weltweit Repertoirestatus. Zahlreiche seiner Sakralwerke zählen zum eisernen Bestand nicht nur polnischer Chöre. Weniger erfolgreich lief es mit den Opern; sein ambitioniertestes Bühnenwerk „Die Teufel von Loudun“ (1969) wird wohl auch nach der kürzlich erfolgten Revision das große Sorgenkind Pendereckis bleiben.

Nachlassende Schöpferkraft

Penderecki hat mancherlei Fassaden aufgerichtet, schon wahr, aber er hat sie auch oft genug durchbrochen. Vieles klingt nach sowjetischen Sinfonien der Nachkriegszeit, doch gibt es daneben die alttestamentarisch rumorende 7. Sinfonie (1996), dem 3000-jährigen Jerusalem gewidmet, und eindringliche Beschwörungen der mahlerschen Klangwelt, am schönsten in den auf deutsche Gedichte geschriebenen ‚Liedern der Vergänglichkeit‘, seiner Achten (2005).

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Pendereckis jüngstes Opus, das 2012 uraufgeführte Doppelkonzert für Geige und Bratsche, spricht freilich von nachlassender Schöpferkraft, und eine 9. Sinfonie aus seiner Feder dürfte eher verzichtbar sein.

Querkopf und Querulant

Unverzichtbar aber ist Krzysztof Penderecki als Querkopf und Querulant, als Schöpfer einer Handvoll aufregender und extrem origineller Meisterwerke. Der Komponist, der so vielen Menschen Lust auf moderne Musik macht, feiert am Samstag seinen 80. Geburtstag.

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